Die Fury-Story

Im Frühjahr des Jahres 1987 hocken sich die Brüder Kai (Gesang) und Thorsten Wingenfelder (Gitarre), Christof Stein (Gitarre), Hannes Schäfer (BAß) und Rainer Schumann (Schlagzeug) auf einem Hinterhof in Hannovers Glocksee zusammen und beschließen, eine Band zu gründen. Als Antriebsfeder geben die wackeren Mannen den "unbändig naiven Glauben, mit Rock'n'Roll Spaß haben und etwas bewegen zu können" sowie die "Hoffnung, damit irgendwann den Kühlschrank vollzukriegen" zu Protokoll.

Letzteres dürfte ihnen schon relativ früh gelungen sein; Fleiß wird eben doch belohnt. Schon im ersten Jahr werden zahlreiche lokale Clubs be- und die erste Single "TIME TO WONDER" eingespielt.

Das beschert den Furies ein Jahr später erste saftige Lorbeeren: Nach der ersten bundesweiten Clubtour ist Hannovers Konzerttempel Capitol mit 2000 Zuschauern ausverkauft. Es folgt der erste (selbstbetitelte) Longplayer, und nach dem Support für die Pogues lobt deren Sänger Shawn McGowan:"Best supporting act ever".

Und so wagten sich Wingenfelder und Co. 1989 auf das BIZARRE-Festival und spielen neben Jesus & Mary Chain und Living Colour. Unter der Regie von Jens Krause entsteht das zweite Werk "JAU !", und Keyboarder Gero Drnek komplettiert das Line-Up der Band.

1990 spielen Fury in the Slaughterhouse ihre "JAU !"-Tour in ausver- kauften Sälen und zusammen mit u.a. Tina Turner und Gary Moore vor Hunderttausenden auf dem Hockenheim-Ring- und Lüneburg-Open-Air. Das Album dringt bis auf Platz 49 der Album-Charts vor.

1991 hält sich Furys "Hooka Hey" 18 Wochen lang in den Charts und er- reicht Platz 32, Jim Rakete dreht mit ihnen Video-Clips in Kalifornien, und die Singles "Cut myself into pieces" und "Trapped today, trapped tomorrow" werden zu Dauerbrennen bei vielen Radiostationen.

In den folgenden drei Jahren geht es weiter stetig aufwärts, wie die Zahlen belegen: Das Live-Album "Pure Live" erreicht Platz 21 der Charts, "Mono" ist mehr als zwanzig Wochen in den Top 50 der deutschen Charts (höchste Platzierung: 12), die ausgekoppelte Single "Radio Orchid" wird zum ersten Single-Chart-Entry der Band rotiert mehrere Monate auf MTV. Und schließlich wird 1994 "Mono", in Deutschland gerade vergoldet, in den USA und Kanada veröffentlicht und erreicht dor sechsstellige Verkaufszahlen.

Nach sechs großen Festivals auf deutschem Boden spielten Fury in the Slaughterhouse in den USA diverse Shows mit Meat Loaf. Dieser war schon nach dem ersten Gig von der Live-Power der Furies so begeistert, daß er 1500 Dollar Gage pro Abend für sie springen ließ. Leider hielt das In- teresse der Amis an Meat Loaf nur etwa 10 Tage; sodaß die Konzerte im Süden und Osten der Staaten mangels schwindender Vorverkaufszahlen gecancelt werden mußten. Doch die Erfolge der ersten Abende machten der Band mut, und so zogen die Furies eine eigene US-Tour auf, die auch äußerst erfolgreich verlief.

Doch neben dem Erfreulichen ('great', 'fantastic' und 'marvelous' als gängige Kommentare des Publikums, nachreisende Fans nach den ersten Gigs, Video-Aufnahmen mit Cyndi Lauper, die deren Musik so wunderbar energisch fand) gab es Lustiges (ein Universitäts-Magazin aus Kalifornien schrieb: "Die beste irische Band seit U2"), aber auch Negatives zu erleben. So wurde Kai während eines Krankenhausaufenthalt Zeuge eines Mordes.

Im Winter 1994 begaben sich Fury in the Slaughterhouse wieder ins Studio und produzierten ihr bislang letztes Werk "The hearing and the sense of balance", das neben Altbekannten auch neue Ansätze der Furies. So beweisen sie mit "Kiss the Judas" und "Ghosttown" ihre Stilvielfalt, die durch die beatlesken Songstrukturen von "Hang the DJ" und "Dancing in the sunshine", sowie die psychedelische Ballade "Spit into the fire" und die Stücke "Your love won't take me" und "Next to you" abgerundet wird.

Kurz vor der Veroeffentlichung von "The hearing and the sense of balance" sprach Kai Wingenfelder mit dem "Zillo"-Magazin ueber das neue Album, die US-Tour und vieles mehr...

Zillo:

Eure Alben haben eigentlich schon immer mit Neuerungen aufgewartet, aber "The hearing..." scheint mir davon bisher am meisten zu bieten. Liegt das daran, daß ihr nach dem Gold für "Mono" besondere Überlegungen zu dessen Nachfolger angestellt habt oder vielleicht an den Erfahrungen der Amerika-Tour ?

Kai:

Beides nicht. Amerika hat da sicher mit reingespielt, aber nicht so, daß wir gesagt haben, wir wollen eine amerikanische Platte machen, was sie ja auch nicht geworden ist. Wir sind einfach älter geworden, und man lernt immer wieder noch dazu. Wir hatten eine lange Pause nach "Mono", wir haben unsere Ideen gesammelt und einfach ausgekotzt.

Zillo:

Ich denke da aber zum Beispiel an eure Version von "Next to you", das mich sehr an den frühen Meat Loaf erinnert, oder an den Countryrocker "Your love won't take me".

Kai:

Was ?! An Meat Loaf. Sowas macht der doch gar nicht mehr. Der macht jetzt so 'ne bombastische Schnulz-Scheiße. "Next to you" ist ein ganz altes Stück, das wir bisher immer als Zugabe gespielt haben. Wir haben uns einfach für eine Brachialversion dieses Songs entschieden und diese live daraufgeholzt. Mit dem anderen Stück könntest du schon eher recht haben, obwohl es auch auf "Mono" einen Countrysong gibt. Und zufällig war da dieser Geiger von Bob Geldorf da, der uns da einfach eine Geige draufgenudelt hat, von der wir alle sehr angetan waren.

Zillo:

Hat dieser Geiger auch die anderen Streicherparts des Albums eingespielt ?

Kai:

Nein, da hatten wir ein richtiges Orchester.

Zillo:

Man hat ja schon so einiges über das gehört, was ihr in Amerika so erlebt habt. Gibt es noch andere erwähnenswerte Dinge, die bisher noch nicht durch die einschlägige Presse gegeistert sind und die du dem Zillo - sozusagen exklusiv - 'anvertrauen' möchtest ?

Kai:

Also eigentlich haben wir alle Geschichten, die da so abliefen, schon los- gelassen. Amerika war ein sehr zwiespältiges Ding, eine sehr schizophrene Geschichte. Auf der anderen Seite war's unheimlich aufregend und auf der anderen Seite ziemlich ernüchternd. Aufregend ist es, wenn man als kleine Band, die wir so sind, nach Amerika kommt, da mit dem dicken Fleischklops vor 30.000 Menschen spielt und feststellt, daß die das eigentlich ganz gern mögen. Den Leuten haben auch unsere Texte gefallen, was uns am meisten ge- freut hat. Und wir waren die Kritiker-Lieblinge, die uns (lacht) als "beste irische Band" seit Jahren" oder als den "neuen Bob Dylan" bezeichnet haben. Auf der anderen Seite war es ziemlich ernüchternd, zu sehen, daß die alle auch nur mit Wasser kochen und daß das Geschäft in Amerika sowas von heftig und brutal ist.

Zillo:

Da fällt mir ein Zitat eures Bassisten Hannes ein, das ich gelesen habe. Zu dem Erlebnis, daß jemand auf einer Art Hammond-Orgel Nirvana gespielt hat, soll er gesagt haben, daß die Amis den Rock'n'Roll längst vergessen haben.

Kai:

In diesem Zusammenhang ist das sicher richtig. Du mußt dir mal vorstellen, da steht ein Alleinunterhalter wie Franz Lambert mit seinem Ein-Mann-Or- chester und spielt "Smells like teen spirit" und findet das ganz toll. Hannes hat das aber nur in diesem speziellen Kontext so gemeint. In Europa ist es wohl sehr viel eher der Fall, daß man Rock'n'Roll vergessen hat. Wenn du dir die europäischen Hitparaden anschaust, dann ist da wesentlich mehr Techno- und Eurobeat-Scheiße drin als in den amerikanischen Charts. Da gibt es noch richtigen Rock'n'Roll, das ist da noch eine richtige Kultur, was hier ja nun nicht der Fall ist.

Zillo:

Stichtwort Rock'n'Roll. Nehmen wir ihn mal im weitesten Sinne. Ich habe das Gefühl , daß ihr euch immer weiter vom Rock'n'Roll verabschiedet. Ihr habt zwar auf "The sense" auch zwei, drei Kracherstücke, aber im Vergleich zu euren ersten Alben sind die doch immer mehr in den Hintergrund geraten, immer mehr Songs und Balladen bestimmen das Bild, und insgesamt scheint ihr euch mehr an den Zeitgeist anzulehnen während ihr früher noch früher experimenteller, mit etwas mehr Ecken und Kanten ausgestattet wart.

Kai:

Das ist schade, daß du das so siehst. So sollte es eigentlich nicht sein. haben einfach das gemacht, wozu wir Lust hatten. Ich sehe das nicht ganz so heftig. Wir haben zwar mit einigen Neuerungen experimentiert, etwa mit einer Kombination von gesampeltem und richtigen Schlagzeug auf "Kiss the Judas", aber genauso haben wir auch Sachen drauf, die mit dem Zeitgeist überhaupt nichts zu tun haben. "Down there" ist eigentlich von den Sechzigern inspiriert, so eine Mischung aus David Bowie und den Beatles.

Zillo:

Gibt es eigentlich ein Fury-Statement zu Techno, HipHop und ähnlichen Ent- wicklungen ? Wie urteilt ihr darüber ?

Kai:

Ich finde eintönige Musik zum Kotzen. Ich sehe da eine Entwicklung, die immer mehrin Richtung Eintönigkeit läuft. Ich habe kein Problem damit, mit modernen musikalischen Mitteln wie zum Beispiel einem Sampler zu ar- beiten. Das kann sehr interessant sein, wenn man das mit anderem verbindet und dem Ganzen dadurch ein Eigenleben eintrichtert. Die Entwicklung auf dem momentaren Musikmarkt scheint sich allerdings genau in Gegenteil zu entwickeln. Da läßt jemand einen Sinuston laufen oder schaltet eine Schlag- zeugmaschine an und findet das toll. Jeden Beat hat man inzwischen 258.000 Mal gehört, und jede Textzeile auch. Wo ist denn in den deutschen Charts heute noch ein Text wichtig ? Ich find' das furchtbar.

Zillo:

Stichwort Text. Gibt es eigentlich einen Songtext, der deine Erlebnisse in Amerika verarbeitet ?

Kai:

Ja, "Princess of New York", eine Frau ohne festen Wohnsitz, gnadenlose Armut, Crack-Laichen und das, was in deutschen Filmen immer ausgeschlachtet wird: Schwarze und Mülltonnen. Ich hatte dem Typen erzählt, daß ich gerne mal nach Harlem gehen würde, und der Typ hat mich da 'rumgeführt unter der Bedingung, daß ich mein Maul halte und ihn reden lasse. Weil ich besoffen war, habe ich mitgemacht. Im nüchternen Zustand wäre ich da wohl nicht mit- gegangen. Ich hab' mir da echt vor Angst in die Hosen geschissen.