Alptraumhochzeit

Nach dem verhältnismäßig schwachen 98er Album "Nowhere ... Fast!", einem Soundtrack sowie der Best-Of-CD "Super" liefern Fury In The Slaughterhouse nun ihr achtes Album und Major-Debüt "Homeinside" ab – und finden darauf zu alter Form zurück. Produziert vom Seelig- und Echt-Macher Franz Plasa, besticht die Platte nicht allein durch ein Bowie-Cover, sonder vielmehr durch Pop-Kompositionen und Arrangements von internationalem Standard. Im Zillo-Interview spricht Sänger Kai Wingenfelder über den offenherzigsten Songtext der Platte "Enemy Mine", die medienkritische Single "Are you real?" und den Entstehungsort der darauf zu hörenden Kooperation mit US-Rapper Scorpio: Eine Hotelbar.

 

Zillo:

Auf eurem neuen Album "Homeinside", dem ersten beim Musikmulti EMI, kehrt ihr zu alter Form zurück. Hat euch der neue Label-Deal motiviert ?

Kai:

Nach "Nowhere ... Fast!" war es Zeit, daß sich die Band zusammenrappelt und ein paar Sachen ausprobiert. Das haben wir gemacht, und deswegen hat es auch so lange gedauert. Nach 13 Jahren mussten wir erst einmal gucken, wo wir nun hinwollen. Aber das hat wenig mit unserem neuen Vertrag zu tun. Wenn wir uns Mühe geben, dann für unsere Fans und nicht für die Plattenfirmen.

Zillo:

Fällt in die Rubrik Ausprobieren auch die Zusammenarbeit mit dem US-Rapper Scorpio für eure Vorabsingle "Are you real?" ?

Kai:

Eigentlich nicht. Einen rap hatten wir schon auf unserer ersten Platte. Auf "Your love won’t take me anywhere" habe ich schon mal versucht, den Weißwurst-Rap zu erfinden. Daß das nicht so wirklich funktioniert hat, weiß ich heute selbst. Scorpio ist beim gleichen Management wie wir. Und da man heutzutage keine neue Musik mehr erfinden kann, bleibt einem nur übrig, Sachen zu vermischen. Das ist zwar auch nicht besonders neu, weil Aerosmith das schon vor uns gemacht hat, aber zumindest war es interessant und hat uns Spaß gemacht.

Zillo:

Wie kam der Kontakt zustande ?

Kai:

Wir haben Scorpio in einer dieser berühmten Hotelbar-Sessions kennengelernt, die man von Tourneen her kennt. Das war im Rahmen unserer "Klein, aber fein"-Tour. Unserere Streichereinheit, die Backgroundsängerinnen, unser Bassist am Klavier, mein Bruder am Glas, Gero trommelte auf dem Cello-Koffer und Scorpio fing plötzlioch an, herumzurappen. Unser Manager lief schnell nach oben, um etwas zum Aufnehmen zu holen. Als er wiederkam, war zwar alles zu spät. Aber der Entschluß. Das nun richtig zu machen, war da. Vielleicht schaffen wir es für morgige Release-Konzert in Berlin ja noch mal, eine alte Grandmaster-Flash-Nummer wie "Message" einzuproben.

Zillo:

Der Text zum gemeinsamen Lied "Are you real?" pocht auf Authentizität. Wer ist eurer Meinung nach unecht ?

Kai:

Ich finde, der Song richtet sich gegen den Medienoverflow. Wenn ich mir anschaue, was im deutschen Fernsehen passiert, bin ich ein bisschen beunruhigt. Ich finde, es macht sich so etwas breit wie: Der neue deutsche Stolz, dumm zu sein – furchtbar ! Es wird eine Nachfrage von Medion und Firmen generiert, die theoretisch gar nicht vorhanden ist. Glaubst du wirklich, daß die Leute, die "Traumhochzeit" gucken, sehen wollen, wie andere traumhaft heiraten ? Oder träumen sie in Wirklichkeit davon, selbst traumhaft zu heiraten ? Genau wie diese ganzen Teenies, die bei "Beverly Hills" und "GZSZ" wunderbat gekleidet sind und tolle Jobs haben, die mit dem realen Leben jedoch nichts zu tun haben. Die ganze Ami-Rutsche sowieso ncht, und der deutsche Kram auch nicht wirklich. Kritikfähigkeit ist etwas, was nicht mehr gefragt ist. Es wird eine Generation herangezüchtet, die die gleichen Autos fährt und die gleiche Musik hört wie ihre Eltern. Im Endeffekt wird nichts mehr in Frage gestellt.

Zillo:

Sägst du damit nicht an dem Ast, auf dem du sitzt, weil deine Band auf eine Symbiose mit den Medien angewiesen ist ?

Kai:

Vielleicht. Aber man hat ja auch ein gewisse Verantwortung. Und wenn man schon ein paar Einheiten verkauft, kann man auch mal seine Meinung sagen. Ich habe keine Lust, nur weil ich eine Platte verkaufen will, nicht mehr sagen zu dürfen, was ich sagen will. Andererseits müßten wir uns in den Arsch beißen, wenn wir Sticker auf die CD machen würden:"Blockiert RTL!" Denn dann bekommt das ja auch keiner mehr mit. So hat RTL den Song für eine Kampagne ihrer Osterspielfilme genommen – wenn auch wohl nicht wissend, worum es geht. Das fand ich gut.

Zillo:

Guckst du Fernsehen ?

Kai:

Klar. Es macht keinen Sinn, sich über irgendetwas zu beschweren, wenn man nicht weiß, worum es geht. Ich gucke gerne Fernsehen, nicht nur "Monitor", sonder zappe abends auch mal eine halbe Stunde durch irgendwelchen Schrott und gucke mir dumme Spielfilme mit Bud Spencer an. Ich glaube, es gibt für alles einen Zeitpunkt. Aber ich gucke nicht so wahllos wie manche Kinder, die das Glück haben, ihre Mutter durch einen Fernseher ersetzt zu bekommen.

Zillo:

"Homeinside" beschäftigt sich also stärker mit gesellschaftlichen als persönlich Fragen ?

Kai:

Wir schreiben über Themen, die uns angehen oder die uns passiert sind. Insofern ist auf der Platte vom Liebeslied bis zum Seelenstriptease alles enthalten. Um letzteres geht es in "Enemy mine".

Zillo:

Was offenbarst du in dem Song ?

Kai:

Es geht um das Gefühl, dasß man meistens den größten Feind in sich selber trägt. Das Gefühl habe ich manchmal auch. Ich bin ein Mensch, der manchmal Angst hat – ein Problem, das in unserer Gesellschaft verbreitet ist, über das jedoch die wenigsten sprechen. Ich kenne viele Leute, die plötzlich einen unerklärlichen Zustand der Beklemmung haben. Man fragt sich, wo das herkommt, und meistens trägt man diesen Kram mit sich selbst herum. Der Song ist eine Art Eigentherapie. Mir hilft das, und anderen Leuten gibt das vielleicht auch einen kleinen Denkanstoß.

Zillo:

Wo sitzt der Feind in dir ?

Kai:

Wenn ich ihn schon genau lokalisiert hätte, hätte ich ihn schon erschossen.

Zillo:

Musikalisch klingt das Album eher unbeschwert und harmoniesüchtig – nicht zuletzt dank der üppigen Streicherarrangements.

Kai:

Unser Bassist hatte unheimlich Lust, Streicherarrangements zu schreiben. Ich mochte immer die U2-Streicher supergernee, weil sie etwas Dramatisches haben. An "Enemy mine" z.B. konnte sich Christian so richtig austoben.

Zillo:

Die Aufnahmen zur Platte waren ungewöhnlich aufwendig. Ihr habt vier Produzenten und fünf Studios verschlissen.

Kai:

Reine Dummheit. Natürlich ist das der Luxus, den einem eine große Plattenfirma ermöglicht. Aber das ändert nichts daran, daß das im Grunde Unfähigkeit ist. Bei der nächsten Platte würden wir das gerne anders machen.

Zillo:

Mit der größeren Plattenfirma im Rücken wollt ihr auch wieder verstärkt das Ausland in Angriff nehmen ?

Kai:

In Deutschland kennen wir inzwischen wirklich jede Autobahnraststätte beim Vornamen. Und dann ist es auch schön, mal irgendwo zu spielen, wo einen keiner kennt, und man sich durch kleine Clubs prügeln muß. Wir haben derzeit ein paar Sachen am Kochen, versuchen einen Tour-Austausch-Deal mit Vertical Horizon unter Dach und Fach zu bringen.

Zillo:

Respekt zollt ihr auf "Homeinside" einem anderen Musiker: David Bowie, dessen Song "All the young dudes" ihr covert.

Kai:

Des Songs wegen. Wir sind im Grunde alle mit dem Stück groß geworden und fanden es schon immer klasse und unterbewertet.

Zillo:

Im Booklet grüßt ihr wiederum BAP und die Prinzen – aufgrund musikalischer Nähe ?

Kai:

Eher aus persönlichen Gründen. BAP kennen wir superlange, wir sind lange mit ihnen getourt und haben Festivals zusammen gespielt. Außerdem unterstützen Herr Niedecken und ich zusammen eine Band: Anger 77. Ich habe ihr erstes Album produziert und bin beim zweiten mentaler Berater, und auch Niedecken protegiert sie.

Zillo:

Hörst du dir BAP nun zu Hause an oder nicht ?

Kai:

In dem großen Blumenstrauß deutscher Musikkultur mag ich sie viel lieber als vieles andere. Ich habe mir die letzte BAP-Platte nicht gekauft. Sie sind eine interessante Live-Band, aber ich stehe mehr auf Schraddel-Musik wie Smashing Pumpkins oder auch auf Radiohead. Aber früher mochte ich auch BAP-Platten sehr gerne. Die Musik der Prinzen ist hingegen überhaupt nicht mein Ding, aber ich mag die Band menschlich sehr gerne.

Zillo:

Ihr selbst bekennt euch auf eurem neuen Album hingegen wieder mal zum reinen Pop.

Kai:

Ich habe keine Berührungsängste mit Popmusik, vor allem mit guter. Wieso sollte man sich für eine Pop-Platte auch schämen ? Das ist allemal besser als eine schlechte Crossover-Scheibe einer Band, die finster und hart aussieht. Ich mag auch musikalischen Krawall, aber in dieser Band gibt die Schnittmenge nun einmal keine Krawallkapelle, sondern melancholische, melodiöse Musik ab.